Himeji, 16.10.2009

Heute stehe ich zeitig auf, um an der buddhistischen Zeremonie teilzunehmen. Keine fünf Minuten, nachdem ich mich zurechtgemacht habe, steht einer der Mönche vor der Schiebetür, um mich abzuholen. Die beiden Touristenpaare, die außer mir im Kloster übernachtet haben, werden ebenfalls gerufen. Darüber hinaus gesellt sich ein Japaner hinzu, der wegen der Zeremonie heute Morgen vorbeigekommen ist. Wir werden in die Haupthalle geführt. Der Japaner nimmt mit gekreuzten Beinen auf dem dunkelroten Teppich vorne Platz, da er beten möchte, wir Ausländer setzen uns seitlich auf Bänkchen.

Koyasan liegt zwar kaum 1000 Meter über dem Meeresspiegel, aber in der sternenklaren Nacht, die hinter uns liegt, ist es empfindlich kalt geworden. Selbst der in der Halle aufgestellte große Heizstrahler kommt gegen die Kälte nicht an. Die Zeremonie beginnt mit einem kurzen Gesang, danach werden von beiden Mönchen Sutren rezitiert, manchmal im Chor, manchmal nur von einem der beiden. Der Mönch auf der rechten Seite schlägt dazu von Zeit zu Zeit mit einem hölzernen Hammer auf einen großen Bronzetopf, der als Gong dient. Nach etwa einer halben Stunde endet die Andacht mit einem Gesang, der dem anfänglichen ähnelt.

Nach dieser weihevollen halben Stunde werden wir Übernachtungsgäste zum Frühstück geführt. Es findet in denselben Räumlichkeiten statt wie das gestrige Abendessen. Neben Reis und einer Misosuppe gibt es gebratenen Tofu, gemischtes Gemüse mit Zwiebeln, Nori-Seetangblättchen, eingelegten Ingwer und eine kleine, rote, säuerliche Frucht sowie einen zum Glück nicht so süßen Quark mit Waldfrüchten. Auf diese Stärkung folgend gehe ich kurz zurück in mein Tatamizimmer, packe zusammen, gehe dann zum Eingang und verabschiede mich von den freundlichen Mönchen.

Als ich auf den Bus warte, sieht man an den Wölkchen, die mein Atem verursacht, dass es jetzt, um 8:00 Uhr, immer noch ziemlich kalt ist. Es wird Zeit, dass ich ins Flachland komme. Der Bus tuckert gemächlich zur Seilbahnstation. Dort wartet schon eine große Gondel auf mich und die zahlreichen anderen Touristen. Nach etwa fünf Minuten Fahrt und einem kurzen Fußweg besteige ich in Gokurakubashi einen Bummelzug nach Hashimoto, der gemächlich den Berg hinunterschleicht. Endlich angekommen, steige ich in einen Zug nach Osaka um, der sich zwar "Express" nennt, diesem Namen aber nur sehr bedingt gerecht wird. Nach vielen Stopps kommt er schließlich in Shin-Imamiya an, wo ich in die mir schon wohlbekannte Loop Line umsteige. Als ich in Osaka Umeda ankomme, bin ich bereits drei Stunden unterwegs. Ich steige in einen Lokalzug nach Kyoto um. Es ist zwar wieder ein Bummelzug, aber ich muss nur eine Station nach Shin Osaka fahren. Dort betrete ich eine andere Welt. Alles was anderswo quälend langsam ablief, geht hier blitzschnell. Ich erwische gerade noch den Hikari Rail Star Superexpress nach Hakata (dem Shinkansen-Bahnhof von Fukuoka auf der Insel Kyushu), der selbstverständlich auf die Sekunde pünktlich abfährt. Da es ein Hikari- und kein Kodama-Superexpress ist, hält er nur an relativ wenig Bahnhöfen und kann zwischen diesen häufig seine Spitzengeschwindigkeit von 285 Stundenkilometern erreichen. Nach 51 Minuten komme ich im 180 Kilometer von Shin Osaka entfernten Okayama an. Für die weiteren 442 Kilometer nach Hakata wird der Zug laut Fahrplan eine Stunde und 53 Minuten brauchen. Und beim Shinkansen-Superexpress heißt das, dass er mit einer Abweichung von wenigen Sekunden auch tatsächlich so lange brauchen wird. Als ich ausgestiegen bin, fährt gerade ein Zug der schnellsten Shinkansen-Serie der Japan Rail ein: Ein "N700 Nozomi Superexpress". So einer braucht von hier nach Hakata nur eine Stunde 39 Minuten. Wie ich schon bemerkte, dies hier ist eine andere Welt.

Seilbahn am Koyasan Rail Star Superexpress Nozomi Superexpress

Links: Die Seilbahn am Koyasan. Mitte: Ein Hikari Rail Star Superexpress. Rechts: Ein N700 Nozomi fährt ein.

Ich bin nach Okayama gekommen, um einen berühmten Garten zu besuchen, den Koraku-en. Ihm gegenüber liegt die Burg von Okayama, diese kann ich gleich mit besichtigen. Leider habe ich im wahrsten Sinne des Wortes keinen Plan, wo sich die beiden Sehenswürdigkeiten befinden und wie ich dorthin gelangen kann. Aber es gibt hier, wie in Shin Osaka, wieder ein Tourismus-Informationsbüro direkt in der Bahnhofshalle. Die freundliche Dame dort übergibt mir einen Stadtplan und sagt mir, dass ich mit der Buslinie Nr. 18, die am Bussteig Nr. 4 des Terminals direkt vor dem Bahnhof abfährt, genau zum Eingang des Gartens gelange. Nun kann das Abenteuer beginnen. Vorher würde ich gerne meine Reisetasche in ein Schließfach sperren, habe aber keinen Erfolg. In die kleinen Schließfächer passt sie nicht hinein, die großen sind leider schon alle belegt.

Die Informationen der Dame aus dem Tourismusbüro stimmen genau. Schon nach wenigen Minuten stehe ich vor dem Eingang des Gartens und mit 140 Yen war die Busfahrt nicht gerade teuer. Als ich ein Ticket gekauft und den Eingang durchschritten habe, ruft mich eine Dame an einem Informationsschalter zu sich. Sie hat mich mit meiner Reisetasche gesehen und teilt mir mit, dass es in dem Gebäude vor dem Eingang Schließfächer gebe. Wenn ich die Tasche dort einschließen würde, müsse ich doch nicht so schwer tragen. Und tatsächlich, dort sind passende Schließfächer frei. Da die Kartenkontrolleurin die Geschichte mitbekommen hat, lässt sie mich selbstverständlich trotz bereits entwertetem Ticket wieder hinein. Ich befinde mich in der Serviceoase Japan! Man merkt es überall. Da heute zufällig viele sehr alte Leute im Koraku-en unterwegs sind, fällt mir, wie schon einige Male, wieder auf, wie behindertenfreundlich Japan ist. Gebrechliche können sich Rollstühle oder elektrische Gefährte ausleihen, überall gibt es Rampen oder Aufzüge, oft sind Sachen in Blindenschrift angeschrieben, alle Bürgersteige weisen Markierungen für Blinde auf, kurz, hier wird an fast jede Eventualität gedacht.

Der aus dem Jahr 1700 stammende Garten ist äußerst interessant. Er stellt eine gelungene Mischung aus weiten, gepflegten Rasenflächen, in Form geschnittenen Büschen, kleinen Reisfeldern und Teepflanzungen sowie scheinbarer Wildnis (Wasserfälle, "Urwald", Bambushaine) dar. Inmitten all dessen befinden sich kleine Teehäuser, Pavillons und Wandelhallen. Die Burg, die von einigen Stellen aus zu sehen ist, wird geschickt in die Komposition eingebunden. Anders als in Kanazawa habe ich hier sehr viel Glück mit dem Wetter. Es ist etwa 25°C warm und nur selten schiebt sich eine Wolke vor die Sonne. So wird der Besuch eines schönen Gartens erst recht zum Vergnügen. Nach der Gartenbesichtigung statte ich der schwarzen Burg von Okayama einen Besuch ab. Wegen der Farbe wird sie "Krähenburg" genannt. Der Originalbau aus dem 16. Jahrhundert wurde leider im zweiten Weltkrieg zerstört. Das Bauwerk, das man heute besichtigen kann, stammt aus dem Jahr 1966. Die Ausstellung im Inneren zeigt vorwiegend Waffen, Helme und Sänften.

Im Koraku-en Im Koraku-en Im Koraku-en
Im Koraku-en Im Koraku-en Krähenburg

Unten rechts: Krähenburg. Alle anderen Bilder: Im Koraku-en.

Ich begebe mich wieder zurück zum Koraku-en, hole meine Tasche aus dem Schließfach und fahre mit dem Bus Nr. 18 zum Bahnhof. Bald darauf steige ich in den Hikari Rail Star Superexpress in Richtung Shin Osaka ein. Wie immer ist gut ausgeschildert, in welche Waggons man ohne Platzreservierung (die ich als Japan Rail Pass-Inhaber kostenlos vornehmen lassen könnte) einsteigen darf und auf dem Bahnsteigboden ist eingezeichnet, wo sich die Türen welches Waggons befinden werden, wenn der Zug gehalten hat. Ich stelle mich bei der vorderen Tür des Waggons Nr. 3 an, und als der Zug hält, befindet sich die Tür auf den Zentimeter genau vor der Markierung, an der ich stehe. Wer öfter ICE fährt und auf die Wagenstandsanzeige vertraut, wird wissen, warum ich das erwähne...

Der Hikari Rail Star braucht für die 89 Kilometer von Okayama nach Himeji 21 Minuten. Ich steige aus, gehe zum Ausgang und muss nun mein Hotel finden. Wie gut, dass es in diesem Bahnhof ein Tourismus-Informationsbüro gibt. Kurz darauf habe ich einen Stadtplan in der Hand, in dem das Hotel eingezeichnet ist. Ich kann zu Fuß hingehen, denn es befindet sich nur etwa 150 Meter vom südlichen Ausgang des Bahnhofs entfernt. Beim Check-in frage ich nach, ob mein Koffer angekommen sei. In der Tat, er sei heute Morgen angekommen. Eine Minute später steht er neben mir.

Nach einer ganz kurzen Pause mache ich mich wieder auf den Weg. Es ist erst kurz nach 15:00 Uhr und die wichtigste Sehenswürdigkeit von Himeji ist nur einen Kilometer von mir entfernt. Nach etwas mehr als zehn Minuten Fußweg bin ich an der Burg von Himeji angelangt. Sie wurde zwar schon restauriert, es handelt sich aber um den Originalbau aus dem Jahr 1609. Die prächtige Anlage mit dem gewaltigen, durch seinen Baustil dennoch sehr leicht wirkenden Hauptturm gilt als die schönste Samurai-Burg Japans. Ihretwegen wollte ich unbedingt hierherkommen, und in der Tat, der Besuch lohnt sich wirklich. Folgt man dem langen Strom der Touristen im Inneren bis hinauf in das sechste Stockwerk des Hauptturms, bemerkt man erst so richtig dessen Ausmaße. Man kann dort eine Ausstellung von Gemälden, Kalligraphien, Waffen und Rüstungen sehen. Vom obersten Stockwerk hat man einen sehr guten Blick auf die Stadt Himeji und deren Umland. Kein Wunder, deswegen hat man die Burg schließlich an dieser Stelle errichtet.

Burg von Himeji Burg von Himeji Blick auf Himeji

Die Burg von Himeji. Rechts: Von der Burg aus hat man eine gute Sicht auf die Stadt.

Nach dem Verlassen der Burg gehe ich im Schein der Abendsonne zurück in mein Hotel. Bald darauf ist es Zeit für das Abendessen. Ich finde in der Nähe des Bahnhofs ein kleines Restaurant und esse dort ein Menü aus Reis, einer Miso-Suppe, frittiertem Hühnerfleisch, gebratenem Schweinefleisch mit Zwiebeln und einem Krautsalat, Tofu in einer leicht scharfen Sojasauce, einer Art gerolltem Pfannkuchen und eingelegtem Rettich. Der Preis ist mit 1050 Yen sehr günstig. Auf dem Rückweg ins Hotel besorge ich mir in einem Supermarkt zwei dunkle Yebisu Premium Pilsener, um den Tag beschaulich ausklingen zu lassen. Morgen kann ich den Tag ruhig angehen, da ich die geplanten Besichtigungen heute schon absolviert habe.