Kyoto, 20.10.2009

Heute ist ein ereignisreicher Tag, denn es stehen zwei Halbtagestouren an. Um 8:20 Uhr werde ich, zusammen mit anderen Touristen, in der Lobby meines Hotels abgeholt und steige in einen großen Bus ein. Der Bus fährt danach ein weiteres Hotel an. Die Gruppe wächst dabei auf etwa 30 Leute an, hauptsächlich Amerikaner, Hongkong-Chinesen und Inder. Es wird wieder einmal ein sehr japanisches Reiseerlebnis: Eine Riesengruppe, die sich um einen laufenden Meter von Reiseleiterin schart, die, um von Weitem sichtbar zu sein, eine Antenne mit einem großen, neongrünen Bommel am oberen Ende in die Luft hält und in ein Mikrophon krächzt. Den zugehörigen Lautsprecher trägt sie um den Hals. Diese Vorkehrungen werden heute noch sehr wichtig, wie sich herausstellen wird. Da sich das Laub der Ahornbäume rot zu färben beginnt, startet langsam eine der Hauptreisezeiten in Japan. Die andere findet zur Zeit der Kirschblüte statt. Darüber hinaus scheinen wir gerade eine sehr beliebte Zeit für Klassenfahrten zu haben. Sonderzüge haben Heerscharen von Schülern und Lehrern in die Stadt gekarrt.

Letzteres bemerken wir schon sehr deutlich im Nijo-jo, einem Shogun-Schloss aus dem 17. Jahrhundert. Zusammen mit unzähligen Schulklassen besichtigen wir die weiträumigen Gebäude, die keinerlei Mobiliar aufweisen (das würden die Tatami-Matten schlecht vertragen), dafür aber sehr schöne Wandmalereien und Deckenplatten aus Holz. Schade, dass hier strenges Fotografierverbot herrscht. Architektonisch sehr interessant sind die "Nachtigallenböden". Eine spezielle Konstruktion der Bodenplatten sorgt dafür, dass beim Gehen auf ihnen zwitschernde Geräusche zu hören sind, eine Sicherheitsmaßnahme, dies es unmöglich machte, dass sich Feinde anschleichen konnten. Zu dem Palast gehört weiterhin ein schöner Garten mit Steinformationen.

Im Nijo-jo Im Nijo-jo Im Nijo-jo

Im Nijo-jo.

Nachdem die Gruppe wieder im Bus versammelt ist, fahren wir zu unserer nächsten Station, dem Rokuon-ji-Tempel. Hier gibt es ebenfalls einen sehr schönen Garten und Unmengen von Schulklassen. Die Kapazitätsgrenze der Anlage ist heute deutlich überschritten, man kann kaum umfallen, während man in einer Strömung aus Tausenden lärmender Schulkinder mitschwimmt. Vor allem am berühmtesten Bauwerk, dem Goldenen Pavillon, ist der Andrang unbeschreiblich. Es handelt sich um einen dreistöckigen, mit Blattgold überzogenen Bau aus den 1950er Jahren. Das Original aus dem 14. Jahrhundert wurde durch Brandstiftung zerstört.

Im Rokuon-ji Im Rokuon-ji Im Rokuon-ji
Im Rokuon-ji Im Rokuon-ji

Im Rokuon-ji. Oben rechts und unten links: Goldener Pavillon.

An unserer nächsten Station geht es weitaus ruhiger zu als an den bisherigen. Das liegt an den strengen Sicherheitsvorkehrungen. Wer den Kaiserpalast besichtigen will, muss sich vorher registrieren lassen. Wir mussten alle im Bus ein Formular ausfüllen, welches die Reiseleiterin am Eingang abgibt. Anschließend müssen wir uns in Viererreihen aufstellen und werden abgezählt. Im Gelände muss die Gruppe zusammenbleiben, damit sich ja keiner in einem Gebüsch versteckt. Besonders bemerkenswert sind die großen Tore, die zur Anlage führen, sowie der schöne Palastgarten.

Im Kaiserpalast Im Kaiserpalast

Im Kaiserpalast.

Nach dieser Besichtigung werden wir zu einem großen Souvenir-Kaufhaus gefahren, in dem man zeitweise Handwerkern beim Herstellen von Holzdrucken und anderen Kunstgegenständen zusehen kann. Für einen Teil der Gruppe ist die Tour, bis auf die Fahrt mit Shuttle-Bussen in verschiedene Hotels, nun beendet. Die anderen, darunter ich, essen hier zu Mittag (Buffet, in meinem Fall Gemüse-Tempura, Fleischbällchen in Sojasauce, Sushi und Reis, es gibt aber noch andere Sachen im Angebot), haben dann Zeit zum Einkaufen und werden anschließend auf zwei verschiedene Touren verteilt. In dem siebenstöckigen Kaufhaus, in dem verschiedene Firmen ihre Waren anbieten, gibt es alle nur erdenklichen Arten von Souvenirs, zum Beispiel T-Shirts, Kimonos, Samurai-Schwerter, Lackwaren, Porzellan und Kalligraphien. Die Waren sind dem Augenschein nach alle von hochwertiger Qualität, dennoch kann ich den allermeisten Sachen persönlich nichts abgewinnen, insbesondere von den Kalligraphien bin ich enttäuscht. Ich finde allerdings ein recht schönes Rollbild mit einer durch wenige Striche angedeutete Sommerlandschaft an einem See. Ich sorge also tatsächlich für die japanische Konjunktur und kann zum ersten Mal auf dieser Reise meine Kreditkarte zum Einsatz bringen. Weil der Kaufpreis (wenn auch knapp) über 10000 Yen liegt, muss ich meinen Pass vorzeigen und bekomme eine Art Zollerklärung hineingeheftet, die besagt, dass mir für den Kauf im Voraus die Mehrwertsteuer erstattet wurde.

Um 14:00 Uhr beginnt für mich und etwa 20 andere Touristen aus aller Welt die Nachmittagstour, zufällig wieder mit derselben Reiseleiterin wie bisher. Während das Wetter am Vormittag bewölkt und etwas kühl war, ist es inzwischen sehr sonnig und warm geworden. Erste Station ist der Heian-Schrein aus dem Jahr 1895. Die Gebäude sind in Rot gestrichen, die Dächer sind grün. Zu dem Schrein gehört ein wunderschöner Garten in chinesischem Stil, in dem ich gerne lange verweilen würde.

Der Heian-Schrein Der Heian-Schrein Der Heian-Schrein
Der Heian-Schrein Der Heian-Schrein

Der Heian-Schrein mit seinem schönen Garten.

Dazu ist auf solch einer Gruppentour natürlich kaum eine Gelegenheit vorhanden. Wir müssen bald weiter zu unserer nächsten Station, dem Sanjusangen-do-Tempel aus dem 12. Jahrhundert. In seiner düsteren Haupthalle, dem längsten Holzbau der Welt, stehen 1000 fast identisch aussehende, etwa menschengroße, golden schimmernde Kannon-Statuen. Im Zentrum der langen Halle steht zusätzlich eine sehr große, vielarmige, vielköpfige Kannon-Statue aus dem 13. Jahrhundert.

Der Sanjusangen-do Der Sanjusangen-do

Der Sanjusangen-do.

Nach dem Besuch dieses sehr beeindruckenden Tempels fahren wir zu unserer letzten Station, dem Kiyomizu-Tempel. Auf dem Weg dorthin bleiben wir im Stau stecken und verlassen deshalb den Bus schon deutlich bevor dieser den Parkplatz erreicht hat. Auf dem Fußweg zum Tempel erahnen wir die Ursache des Staus. Offenbar haben fast alle Schulklassen Japans im Augenblick dasselbe Ziel wie wir. Der Tempel ist schön, sofern man vor lauter Schülern mal ein kleines Stück von ihm zu sehen bekommt. Berühmt an dem Tempel ist die heilige Quelle innerhalb der Anlage. Ihr Wasser fließt in drei Strahlen in die Tiefe. Myriaden von Schülern, die dazu vorher in einer langen Schlange angestanden haben, schöpfen Wasser mit langen Metallkellen aus allen drei Strahlen und trinken es. Das Wasser aus dem linken Strahl macht einen gesünder, das aus dem mittleren reicher, das aus dem rechten weiser. Als ich mich langsam auf den Weg zurück zum Bus mache (die Gruppe hat sich bis zu einem vereinbarten Zeit- und Treffpunkt aufgelöst, da es in dem Gedränge nicht mehr möglich gewesen wäre, zusammenzubleiben), sehe ich, dass manche Treppenaufgänge schwarz von uniformierten Schülern sind, die, von den Lehrern dirigiert, für Fotos posieren. Der Rückweg zum Bus dauert relativ lange, da man wegen der Menschenmassen kaum vorankommt. Dennoch erreiche ich den vereinbarten Treffpunkt rechtzeitig.

Im Kiyomizu-Tempel Im Kiyomizu-Tempel Im Kiyomizu-Tempel
Im Kiyomizu-Tempel Weg zum Kiyomizu-Tempel

Der Kiyomizu-Tempel und seine Umgebung sind bei Schulklassen offensichtlich sehr beliebt.

Nun steht abschließend die Tour zu verschiedenen Hotels an. Meines ist das erste. Ich verabschiede mich, mache nur kurz Pause auf meinem Zimmer und gehe dann zum Abendessen. In einer "Restaurantetage" im Gebäude eines großen Kaufhauses finde ich ein Angebot das mir zusagt. Ich bekomme Reis mit fermentierten Sojabohnen, eine heiße Soba-Nudelsuppe, Tempura mit Gemüse und Garnelen, Sashimi mit einer weiteren Garnele, drei Sorten Fisch, gehacktem Daikon-Rettich und Wasabi, eingelegten Ingwer und roten Rettich und einen kleinen Sojabohnenkuchen. Das Essen schmeckt gut, ist reichlich, und kostet nur 1500 Yen. Nach dem Essen spaziere ich durch die quirligen Einkaufspassagen entlang der Shijo-dori und dem Nishiki-Markt, bevor ich, begleitet von zwei Yebisu Dark Premium Pilsener, den Rückweg ins Hotel antrete.