Kyoto, 23.10.2009

Heute ist mein letzter ganzer Tag in Japan angebrochen. Das Wetter ist warm und praktisch wolkenlos. Es stehen weder Touren auf dem Programm, noch gibt es Vorschläge meines Reiseveranstalters. Ich entschließe mich zu zwei Besichtigungen. Zunächst möchte ich den "Philosophenweg" am östlichen Rand der Stadt entlangwandern, danach will ich mir den Tempel Ryoan-ji ansehen. Zu meiner ersten Tour breche ich zu Fuß auf. Nach etwa einer Stunde erreiche ich mein Ziel. Es handelt sich um einen knapp zwei Kilometer langen malerischen Weg, der sich an einem von Kirschbäumen gesäumten Kanal entlangschlängelt. Der Name "Philosophenweg" stammt daher, dass ein Philosophieprofessor der nahe gelegenen Universität vor etwa 80-90 Jahren täglich hier spazieren ging. Eine wahrhaft gute Wahl! Es ist ein Genuss, bei schönem Wetter diesen Pfad entlang zu gehen, beim Gezwitscher der Vögel, beim Surren der Zikaden, mit sich und der Welt im Reinen. Wer Hunger auf Kunst und Kultur hat, kann etwas abseits des Pfades zehn Tempel besichtigen. Am südlichen Ende des Weges befindet sich ein besonders großer, der Nanzen-ji, und in seiner unmittelbaren Nähe kann man einen Aquädukt bewundern. Ein Aquädukt, das wirkt römisch, selbst hier in Japan. Das Bauwerk stammt aus dem Jahr 1890.

Der Philosophenweg Der Philosophenweg Der Philosophenweg
Der Philosophenweg Am Nanzen-ji Aquädukt

Obere Reihe und unten links: Der Philosophenweg. Unten mitte: Am Nanzen-ji. Unten rechts: Ein Aquädukt in Japan.

Nach dem sehr schönen Spaziergang mit dem ungewöhnlichen Ende nehme ich die U-Bahn, um mit ihr bis zur Endstation, der Nijo Station zu fahren. Dort nutze ich meinen Japan Rail Pass und fahre zwei Stationen mit einem Bummelzug nach Hanazono. Von dort sind es nur knapp zwei Kilometer bis zu meinem zweiten Ziel. Über verschlungene Vorortstraßen gelange ich schließlich zum Tempel Ryoan-ji, der im 15.Jahrhundert gegründet wurde. In ihm befindet sich ein herrlich verrücktes Stück Zen-Kunst: Ein 25 mal 10 Meter großer Garten, der nur aus kleinen Kieselsteinen und 15 kleinen Felsbrocken besteht. Außer ein wenig Moos befindet sich keine Pflanze in dem Garten. Ein Ko-an in Gartengestalt und ein Meisterwerk! Neben dem Steingarten kann man ein Waschbassin aus Stein bewundern, welches die Aufschrift "Ich lerne nur, zufrieden zu sein" trägt, dies allerdings auch erst, wenn man die quadratische Öffnung im Zentrum des Bassins gedanklich als Radikal mit jedem der vier Schriftzeichen kombiniert. Als weitere Attraktionen gibt es einen Landschaftsgarten und einen großen Teich.

Im Ryoan-ji Im Ryoan-ji Im Ryoan-ji
Im Ryoan-ji Im Ryoan-ji

Im Ryoan-ji. Oben: Der berühmte Steingarten. Unten links: Das Waschbassin. Unten rechts: Der Seerosenteich.

Nach dem lohnenswerten Tempelbesuch gehe ich zu Fuß zur Hanazono Station zurück. Es ist früher Nachmittag und heute ist der letzte Tag, an dem mein Japan Rail Pass gültig ist. Ich finde, es ist einfach unwürdig, diesen treuen und wertvollen Begleiter mit einer kurzen Bummelbahn-Fahrt auslaufen zu lassen. Ich entschließe mich also zu einer schönen Abschlusszeremonie. Der Bummelzug bringt mich zum Hauptbahnhof von Kyoto. Dort durchquere ich das Gebäude, bis ich zum Shinkansen-Bahnhof komme, besteige einen Hikari Superexpress Richtung Tokyo und fahre nach Nagoya. Dort steige ich aus, spaziere ein wenig in der Umgebung des Hauptbahnhofes herum, statte der Lobby des Hotels, in dem ich vor knapp zwei Wochen war, einen kurzen Besuch ab und trete dann die Rückfahrt an. Für die knapp 150 Kilometer nach Kyoto braucht der Hikari 38 Minuten. Das nenne ich eine angemessene Abschlussfahrt für einen Japan Rail Pass. Mich faszinieren diese Züge. Der Shinkansen fängt dort an, wo der ICE aufhört. Er ist absolut pünktlich, die Türen gehen im Bahnhof an der Markierung auf, nicht fünf Zentimeter weiter vorne, nicht fünf Zentimeter weiter hinten. Man hat viel Beinfreiheit und viel Stauraum. Man sitzt immer in Fahrtrichtung. An der Endstation werden die Sitze umgedreht.

Bitte einsteigen!

Bitte einsteigen! Die Waggontür ist genau dort, wo sie hingehört.

In seiner fast 46-jährigen Geschichte ist nur ein einziger Shinkansen entgleist, weil er in ein Erdbeben geriet. Selbst bei diesem Unfall kam niemand zu Schaden. Verlässt der Zugbegleiter einen Waggon, dreht er sich vorher um und verbeugt sich vor seinen Kunden.

Absolute Perfektion, nicht um der Perfektion willen, sondern einfach aus Respekt vor den Kunden. Respekt ist in Japan ungeheuer wichtig. Wir können viel von den Japanern lernen, in fast jeder Hinsicht sind sie uns weit voraus.

Nachdem ich meinen Japan Rail Pass so richtig ausgenutzt habe, gehe ich zurück in mein Hotel und nach einer ganz kurzen Pause in die Sushi-Bar, in der ich vorgestern schon war. Für 1680 Yen gönne ich mir eine ordentliche Dosis rohen Fisch mit Reis. Danach kehre ich, begleitet von zwei Yebisu Dark Pilsener wieder ins Hotel zurück. Morgen früh werde ich kurz nach 6:00 Uhr abgeholt, um zum über 100 Kilometer entfernten Flughafen Kansai gefahren zu werden, der auf einer künstlichen Insel in der Bucht von Osaka liegt. Von dort aus werde ich nach Frankfurt fliegen.