Nagoya, 11.10.2009

Heute haben wir ganz wunderbares Wetter. Kaum ein Wölkchen trübt den Himmel und nachdem es morgens etwas kühl ist, steigt die Temperatur im Laufe des Tages auf 24°C an. Kurz vor 8:00 Uhr werde ich in der Lobby des Hotels von meiner heutigen Reiseleiterin Atsuko abgeholt. Außer mir hat nur ein spanisches Ehepaar die Tour gebucht, das allerdings in einem Hotel in Toba, in der Nähe unseres Zielgebietes, übernachtet hat. Atsuko und ich müssen erst einmal etwa eineinhalb Stunden mit dem Zug fahren. Zunächst geht es durch Geschäftsviertel, dann durch Wohngebiete, weiter durch ländliche Areale mit vielen Reisfeldern und schließlich durch Industriegebiete, unter anderem mit mehreren Chemiefirmen.

In Toba angekommen, treffen Atsuko und ich auf einen Taxifahrer, der für die heutige Tour engagiert worden ist. Er bringt uns zunächst zu einem großen, sehr schönen Hotel, in dem wir die spanischen Mitreisenden abholen. Dann fahren wir nach Ise, um den sogenannten "Inneren Schrein" zu besuchen, den heiligsten Shinto-Schrein Japans. Er ist der Sonnengöttin geweiht und soll deren Spiegel enthalten, der gewissermaßen das Palladium Japans, des Sonnenreiches ist. Der Schrein unterscheidet sich vom Ensemble her (Torii-Tore, überdachter Brunnen für die rituelle Reinigung, Getreidespeicher, Pferdestall, Hauptgebäude) nicht von anderen Shinto-Schreinen, die ich bereits gesehen habe, es wird allerdings extra betont, dass alle der schlichten, sehr schönen Gebäude rein aus Zypressenholz, ohne Verwendung von Nägeln oder anderen Teilen aus Fremdmaterialien gebaut sind. Und etwas anderes ist ebenfalls bemerkenswert: Der Schrein wird alle 20 Jahre neu errichtet, teilweise unter Wiederverwendung alter Teile. Dies soll einerseits die Prinzipien der Reinheit und ständigen Erneuerung symbolisieren, und andererseits will man so dafür sorgen, dass die benötigte Handwerkskunst von Generation zu Generation nahtlos weitergegeben wird. Die nächste Runderneuerung wird 2013 abgeschlossen, die Bauarbeiten sind schon im Gange, und somit liegt überall der Duft von frisch geschnittenem Zypressenholz in der Luft. Nicht nur die Gebäude sind interessant, sondern auch die Menschen. Heute ist Sonntag und somit wimmelt es in der Anlage von japanischen Familien, die ihren Ausflug hier verbringen. Man kann also ganz authentisches japanisches Leben beobachten.

Nach der Besichtigung des Schreins fahren wir in den Ort Ise. Dort gibt es eine lange, schmale Straße mit unzähligen Läden auf beiden Seiten, in der etwa so viel Betrieb herrscht wie in der Kölner Schildergasse kurz vor Weihnachten. Hier werden wir eine Dreiviertelstunde zum Einkaufen ausgesetzt. Ich habe zwar im Moment keine Lust, zur Belebung der Konjunktur beizutragen, aber wie im Schrein, ist es auch hier wieder sehr interessant, einfach die Einheimischen zu beobachten.

Der Innere Schrein Der Innere Schrein Der Innere Schrein
Ortsansicht Ortsansicht Ortsansicht

Oben: Im Inneren Schrein. Unten: Ortsansichten.

Nach dem Bummel durch die quirlige Straße treffen wir uns zum Mittagessen. Es gibt Reis, zwei frittierte Shiitake-Pilze, einen Salat, Udon (eine Suppe mit langen, dicken Nudeln), sauer angemachten, gehackten Daikon-Rettich, ein Gericht, das ich als Ragù alla Bolognese plus einige kleine Tofuwürfel klassifizieren würde und Meeresfrüchte. Letztere werden auf offenem Feuer in einem geschlossenen Tontopf gegart. Man muss warten, bis das Feuer ausgegangen ist, dann sind sie fertig. Der Tontopf gibt eine große Muschel, eine Garnele und ein Stück Tintenfisch preis. Als Getränke gibt es grünen Tee und Wasser. Das Essen ist sehr lecker, insbesondere die Meeresfrüchte.

Nach dem Essen fahren wir mit dem Taxi zu unserer nächsten Station, direkt ans Meer, um die Ama-San zu besuchen. Die Ama-San sind Frauen, die, in weiße Gewänder gehüllt, im Meer nach Muscheln, Austern und Seegras tauchen. Die weißen Gewänder sollen Haie und Feuerquallen abschrecken. Das Gewerbe hat ein massives Nachwuchsproblem, da die jungen Frauen lieber in der Stadt arbeiten und es darüber hinaus heutzutage weniger mühsame und gefährliche Methoden gibt, um die Meeresprodukte zu ernten. Das Durchschnittsalter der aktiven Ama-San liegt bei etwa 60 Jahren, die Frauen, die wir besuchen sind zwischen 57 und 78 Jahre alt und es soll sogar eine über 80-jährige Frau geben, die noch jeden Tag taucht. Als wir die Hütte betreten, wird ein kleiner Teil des heutigen Fanges für uns gegrillt. Ich bekomme drei Muscheln ab, die zusammen mit Reiscrackern, einer Art klebrigem Brötchen aus Reismehl, das ebenfalls auf den Grill gelegt wird, und einem kalten Tee aus fermentierten roten Sojabohnen gereicht werden, und einfach köstlich schmecken. Während des Essens freuen sich die Frauen, wenn sie ein wenig über ihre Lebensumstände ausgefragt werden. Zum Ende unseres Aufenthalts sollen wir uns in ein Gästebuch eintragen und es entspinnt sich ein Gespräch über unsere Nationalitäten, das höchst Interessantes zu Tage fördert. Es kommen häufig spanische Paare in den Flitterwochen hierher zu Besuch, und, ich traue meinen Ohren kaum, ich bin der allererste Deutsche, der jemals hier gewesen ist! Das freut vor allem die 78-jährige, die sehr viel von Deutschland hält und mir lange die Hand schüttelt. Also, liebe Landsleute: Auf zur Ise-Halbinsel und ganz speziell ins Dorf der Ama-San. Es lohnt sich, einerseits wegen des lustigen Teams und andererseits wegen der Muscheln! Wir fahren weiter und erreichen nach kurzer Zeit einen Aussichtspunkt, von dem aus man einen besonders schönen Blick auf das Meer und die hügelige Landschaft hat.

Frische Meeresfrüchte Gruppenbild mit Ama-San Showtauchen vor der Perleninsel
Am Aussichtspunkt Am Aussichtspunkt Am Aussichtspunkt

Oben links: Leckere Meeresfrüchte. Oben mitte: Gruppenbild mit den Ama-San. Oben rechts: Showtauchen vor der Perleninsel. Unten: Am Aussichtspunkt.

Nachdem wir uns dort einige Zeit aufgehalten haben, fahren wir schließlich zurück nach Toba, zu unserer letzten Besichtigung für heute, der Mikimoto-Perleninsel, auf die man über eine Brücke in der Nähe des Bahnhofs von Toba gelangt. Herr Mikimoto erfand 1893 eine Methode, mit der man Perlen züchten kann. Die Anlage soll die Perlenzucht veranschaulichen und ihre Produkte zeigen. Man kann einmal pro Stunde drei Ama-San zusehen, die für die Touristen drei oder vier Muscheln an die Wasseroberfläche holen, es gibt ein Museum, in dem die Zucht und Verarbeitung der Perlen ausführlich dargestellt wird, einen Ausstellungsraum, in dem Perlenschmuck aus verschiedenen Epochen und Regionen gezeigt wird, und selbstverständlich ein Geschäft, in dem man die Erzeugnisse der Firma Mikimoto erwerben kann. Am Hauptgeschäft der Firma bin ich bereits vorbeigekommen. Es befindet sich auf der Ginza in Tokyo. Außerhalb der Gebäude kann man weiterhin eine Gedenkstätte für den Firmengründer in einem kleinen japanischen Garten besuchen.

Nach dem Besuch der Perleninsel gehen wir zum Bahnhof, an dem sich die Gruppe trennt. Die beiden Spanier nehmen den Zug nach Kyoto, Atsuko und ich fahren zurück nach Nagoya. Im Zug unterhalten wir uns unter anderem über japanisches Essen. Atsuko fragt mich, ob ich schon einmal Shabu-Shabu gegessen habe. Leider muss ich verneinen, lüge aber nicht, als ich sage, dass ich es unbedingt probieren möchte. Es trifft sich gut, dass Atsuko einige Shabu-Shabu-Restaurants ganz in der Nähe meines Hotels kennt und mir diese zeigen will. In Nagoya angekommen erfahre ich, dass es auf der von meinem Hotel aus gegenüberliegen Bahnhofsseite im 12. und 13. Stock eines Hochhauses zwei weitere "Restaurantetagen" gibt. Wir fahren mit dem Aufzug dorthin und Atsuko zeigt mir die Restaurants. Vor einem, das besonders gut und günstig sein soll, verabschieden wir uns voneinander, und ich begebe mich hinein, um Shabu-Shabu, die japanische Variante des Feuertopfes, zu essen. Ich bin nicht einmal auf die Modelle im Schaufenster angewiesen, sondern man hat hier eine englische Karte. Ich bestelle "Black Pork Shabu-Shabu". Eine kleine Hürde gilt es zu überwinden, denn eigentlich macht man das Gericht nur für mindestens zwei Personen. Ich lasse meinen ganzen Charme spielen, die Kellnerin will in der Küche nachfragen, und wir sind schließlich nicht in Deutschland, wo ich mir jetzt eine bärbeißige Abfuhr eingehandelt hätte, sondern im Land des Lächelns, in dem man für den ausländischen Gast gerne eine Ausnahme macht. Und so esse ich Feuertopf mit dünn geschnittenem Schinkenspeck, Chinakohl, Karotten und anderem Gemüse, einem Shiitake-Pilz und einem Bündel Enoki-Pilzen. Die freundliche Kellnerin, die kaum Englisch spricht, zeigt mir beim Servieren mit Gesten, wie ich die zwei Saucen anrühren muss. Eine Sauce enthält Sojasauce und Essig, die andere, die wie eine Bratensauce mit Rahm aussieht, schmeckt deutlich nach Sesamöl. In beide müssen kleine Frühlingszwiebelringe und eine Paste aus viel rotem Rettich und ein klein wenig Wasabi eingefügt werden. Die Brühe wird auf einem Induktionskochfeld erhitzt. Als Getränk gönne ich mir ein Asahi-Bier vom Fass. Das Essen ist köstlich und schlägt mit 2350 Yen zu Buche, davon entfallen aber 550 auf das Bier.

Nach dem Bezahlen besorge ich mir in einem Supermarkt im Bahnhof zwei Suntory-Bier, die für zwei Stunden Asyl in der Minibar erhalten, während ich an der Lobby meines Hotels Briefmarken kaufe, Ansichtskarten versende und einen Verdauungsspaziergang unternehme. Auf diese Weise endet ein sehr schöner und abwechslungsreicher Tag.