Tokyo, 4.10.2009

Heute startet meine Reise in das Land der aufgehenden Sonne. Der Wecker klingelt allerdings zu einer Zeit, zu der man vom Sonnenaufgang lediglich träumen kann, um 5:30 Uhr. Nach einer kurzen Taxifahrt durch das am Tag der Deutschen Einheit zu dieser frühen Stunde ruhige Köln fahre ich mit dem ICE zum Frankfurter Flughafen, von dem aus mein Flug pünktlich startet. Nur etwas über eine halbe Stunde, bis kurz nach 11:00 Uhr, braucht die Boeing 737 der Lufthansa, um mich zum Flughafen Zürich-Kloten zu bringen. Dort gibt es eine böse Überraschung: Mein Flug hat vier Stunden Verspätung. Die Maschine hat einen technischen Defekt, der nicht kurzfristig repariert werden kann, und die Ersatzmaschine muss erst aus Los Angeles ankommen. Am Transferschalter bekomme ich einen Essensgutschein über 20 Franken ausgestellt, den ich in einem der Restaurants des Flughafens einlöse. Ich bekomme asiatische Nudeln mit Gemüse und Poulet (typisch schweizerisch, man verwendet den französischen Ausdruck, betont ihn aber auf der ersten Silbe), und weil 2,10 Franken übrigbleiben, drängt man mir geradezu einen Schokoriegel auf. Nach dem Essen beginnt die mehrstündige, langweilige Wartezeit auf dem Flughafen.

Der neue Starttermin, 17:00 Uhr, wird auf die Minute genau eingehalten, für den Flug braucht der Airbus 340-300 der Swiss solange wie geplant, nämlich 11,5 Stunden, ich komme also genau vier Stunden später am Flughafen Narita an als ursprünglich vorgesehen, um 11:30 Uhr. Zu den Einreiseschaltern ist ein sehr langer Fußweg zurückzulegen, danach muss man, obwohl sehr viele Schalter geöffnet sind, weitere zehn Minuten Schlange stehen, bis man alle Formalitäten hinter sich bringen kann. Nicht nur der Pass wird kontrolliert und die Aufenthaltserlaubnis eingeklebt, sondern es werden zusätzlich elektronisch Fingerabdrücke genommen und man wird fotografiert. Als ich endlich eingereist bin, fährt mein Koffer schon auf dem Gepäckband herum. Beim Zoll muss ich ein Formular abgeben und werde kurz befragt, wie lange ich bleibe, was der Zweck meiner Reise sei und welche Orte ich zu bereisen gedenke, dann bin ich endlich erlöst.

Ich werde nicht abgeholt, stattdessen hat mir die Reiseagentur ein Ticket eines Busunternehmens vorgebucht. Der Schalter ist leicht zu finden, die Abfahrtsstelle ebenso, und schon ist mein Transfer zum Hotel gesichert. Nachdem alle eingestiegen sind, hält die Dame, die die Tickets kontrolliert hat, eine kurze Ansprache, die mit einer tiefen Verbeugung endet, dann fährt der mit einem Mundschutz und weißen Handschuhen ausgestattete Chauffeur ab.Wir fahren knapp 70 Kilometer auf einer sechsspurigen Autobahn, zuerst durch ein ländliches Gebiet, dann durch große Hafen- und Industrieanlagen, bis wir schließlich die Hauptstadt erreichen. Über viele Hochstraßen und einige Tunnel durchqueren wir einen Teil der schon auf den ersten Blick äußerst beeindruckenden Metropole, fahren dann direkt nach Shinjuku und erreichen dort den großen Bahnhof, unsere erste Station. Dort steigen fast alle aus, nur zwei japanische Ehepaare verlassen zusammen mit mir den Bus an der zweiten Station, dem Shinjuku Washington Hotel.

Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich, von Geschäften abgesehen, nur ein Informationsschalter. An diesem erfahre ich, dass sich die Rezeption in der dritten Etage befindet. Dort checke ich schließlich ein. Auch das Mobiltelefon, das ich mir über eine japanische Agentur via Internet ausgeliehen habe, bekomme ich gleich überreicht. Nicht, dass es mich überrascht, nach all den Geschichten, die ich über Japan gehört und gelesen habe, aber trotzdem muss ich mich erst daran gewöhnen, wie winzig mein Zimmer ist. Aber wie dem auch sei, alles was ich brauche, ist auf den paar Quadratmetern vertreten. Nun heißt es nur noch, sich kurz frisch zu machen, dann kann ich ein wenig die Gegend erkunden. Ich habe Glück mit dem Wetter. Es ist heiter bis wolkig und etwa 25°C warm. Allerdings ist es ziemlich schwül, aber man muss ja schließlich merken, dass man in Asien ist.

Mein Zimmerchen in Tokyo Mein Zimmerchen in Tokyo

Mein Hotelzimmerchen in Tokyo.

Den riesigen Bahnhof im Zentrum von Shinjuku habe ich vom Bus aus schon gesehen. Er kann höchstens einen Kilometer von meinem Hotel entfernt sein. Ich entschließe mich also spontan, meinen Gutschein für den Japan Rail Pass samt ausgefülltem Antrag sowie meinen Reisepass mitzunehmen, in dem seit vorhin die einzige Marke klebt, mit der man einen solchen Pass erwerben kann. Nur Touristen mit befristeter Aufenthaltserlaubnis bekommen ihn, weil er ein subventioniertes Flatrate-Ticket ist, das Japanreisen für Ausländer attraktiver machen soll. Der Bahnhof ist schnell wieder gefunden. In dem riesigen Gelände mit unfassbar vielen Menschen das richtige Büro zu finden und von dort aus wieder zurück, ist erheblich schwieriger. Ich schaffe es aber doch irgendwie, und habe nun einen 14-Tages-Pass, mit dem ich ohne Zusatzkosten mit fast allen Zügen der Japan Rail beliebig oft und weit fahren darf. Seine Gültigkeit wird am 10. Oktober beginnen, wie von meiner Reiseagentur geplant und von mir in den Antrag eingetragen.

Ich gehe durch die Menschenmassen (man bedenke, es ist keine Rush Hour, es ist Sonntag Nachmittag) wieder zurück ins Hotel, schließe dort den Reisepass und das wertvolle Ticket ein, und gehe danach wieder in Richtung Bahnhof, da es inzwischen Abendessenszeit ist. Ich finde ein kleines Ramen-Restaurant, also eines, das Nudelgerichte anbietet. Es hat zwar keine englischsprachige Karte, dafür stehen Modelle der angebotenen Gerichte samt Preisschild in einem Schaufenster. Man kann somit einfach zeigen, was man möchte. Ich bekomme eine ordentliche Portion aus gebratenen Buchweizennudeln mit verschiedenem Gemüse, Pilzen, Hühnerfleisch und kleinen Garnelen in einer relativ dicken, mit Stärke gebundenen Sauce. Zum Würzen sind etwas rotvioletter Ingwer und Wasabipaste, also japanischer Meerrettich, am Tellerrand platziert worden. Das Gericht schmeckt gut, macht satt und kostet gerade mal 1000 Yen, also etwa 7,70 Euro. Auf Bier verzichte ich, weil ich inzwischen schon 30 Stunden ohne Schlaf hinter mir habe und nach dem Essen etwas spazieren gehen möchte. Der Tee, der zum Essen gereicht wird, ist kostenlos.

Ich schwimme nach dem Essen ein wenig im schier endlosen Strom der Menschen durch Shinjuku mit. Fast alle Geschäfte haben geöffnet und hier ist so viel los, dass die heißeste Phase der Weihnachtssaison in einer deutschen Großstadt dagegen wie eine Dorfkirmes wirkt. Neben vielen normalen Einkaufenden jedes Alters, in Maßanzügen oder mit Jeans und T-Shirts gekleidet, paradieren viele vollkommen schrill aufgemachte Jugendliche auf den Bürgersteigen, Popbands musizieren vor gigantischen Einkaufspassagen, Ausrufer in seltsamen Kostümen preisen Sonderangebote an, kurz gesagt, hier brummt das Leben. Selbst nach der kurzen Zeit, die ich erst hier bin, habe ich schon gemerkt, dass Tokyo eine Weltstadt ist, die mit nur sehr wenigen anderen Städten zusammen in einer Liga spielt. Selbst Shanghai, Singapur, Bangkok oder Beijing können da nicht mithalten, und über die Großstädte in Deutschland breiten wir in diesem Zusammenhang lieber völlig den Mantel des Schweigens.

Shinjuku Station und Umgebung Shinjuku Station und Umgebung Shinjuku Station und Umgebung Shinjuku Station und Umgebung

Shinjuku Station und Umgebung.

Ich würde gerne länger den schönen Vollmondabend genießen, bin aber nach der langen Anreise zu müde. Ich gehe also zurück ins Hotel, in dessen Erdgeschoss sich ein 24-Stunden-Supermarkt befindet, decke mich in diesem mit zwei Dosen Asahi-Bier ein (568 Yen) und beschließe den ersten Abend in der "östlichen Hauptstadt", die ich morgen genauer besichtigen werde.