Bagan, 14.11.2012

Der Wecker klingelt erbarmungslos um 4:30 Uhr, aber außergewöhnliche Erlebnisse haben nun mal ihren Preis. Nachdem mir gestern niemand die genaue Abholzeit mitgeteilt hat, muss ich mich auf Verdacht rechtzeitig in die Lobby meines Resorts setzen. Etwa um 5:30 Uhr kommt ein uralter japanischer Bus mit der Aufschrift "Balloons over Bagan" vorgefahren und holt ein Paar ab, das ebenfalls in der Lobby wartet. Mich wollen sie nicht mitnehmen, ich stehe nicht auf der Liste. Es würde aber gleich ein weiterer Bus kommen. Und tatsächlich, etwa zwei Minuten später kommt das zweite Vorkriegsmodell und dieses Mal werde ich eingelassen. Im Bus sitzen, außer mir, 15 weitere Personen. Das uralte Gefährt rüttelt uns zunächst durch Alt-Bagan, biegt dann von der Hauptstraße ab, schlägt einige Haken und kommt letzlich auf einem freien Feld zum Stehen. Der Fahrer hat tapfer mit dem nicht mehr so ganz passgenau synchronisierten Getriebe gekämpft. Das gehört zum gebuchten Abenteuer, die alten Busse werden nicht etwa eingesetzt, weil man sich nichts anderes leisten kann, sondern dienen dazu, klassische Atmosphäre zu verbreiten.

Nach dem Aussteigen bekommen wir Kaffee oder Tee und Kekse zur Begrüßung. Dann werden wir in zwei Gruppen zu je acht Personen aufgeteilt und einem Piloten zugeordnet, in meinem Fall ist das Bart, ein Belgier aus Flandern. Er weist uns in die Sicherheitsbestimmungen ein und erklärt, wie wir uns bei der Landung verhalten müssen: Gegen die Fahrtrichtung drehen, sich an den Schlaufen festhalten, leicht in die Hocke gehen. Der Korb ist in vier Fächer für je zwei Personen und einen zentralen Bereich unterteilt. Jeder muss sich ein Fach aussuchen, im Zentralbereich wird Bart stehen und navigieren. Jeder bekommt abschließend eine dunkelblaue "Balloons over Bagan"-Baseballmütze geschenkt und wir können beim Befüllen und Aufheizen unseres Ballons zusehen. Das geht außerordentlich schnell, schon nach wenigen Minuten können wir in den Korb klettern und abheben.

In der Morgendämmerung gleiten wir sanft über die zumeist rotbraunen Pagoden hinweg. Bart muss, wie ein Flugzeugpilot, öfters die Position, die Höhe und andere Informationen per Funk durchgeben und bedient sich dabei einer speziellen Navigationssoftware, die auf einem Tablet-Computer läuft. Da ich direkt neben diesem stehe, bekomme ich mit, dass wir zwischen 280 und knapp 1600 Fuß hoch unterwegs sind, abhängig von den Windverhältnissen, oder davon, ob Bart uns eine Pagode genauer zeigen will. Der Anblick der unzähligen Pagoden ist an sich schon faszinierend, das dreidimensionale Erlebnis im Ballon macht ihn noch faszinierender, fast unwirklich. Als die Sonne steigt und mit ihrem rötlichen Morgenlicht die Gebäude anstrahlt, kommt man sich wie in einer Traumlandschaft vor. Hinzu kommt, dass, außer unserem, sieben weitere rotbraune Ballons unterwegs sind, die neben oder schräg unter uns zu sehen sind.

Balloons over Bagan Balloons over Bagan Balloons over Bagan
Balloons over Bagan Balloons over Bagan Balloons over Bagan
Balloons over Bagan Balloons over Bagan Balloons over Bagan

Balloons over Bagan. Oben mitte: Alt-Bagan, u. a. mit Ananda- und Thatbyinnyu-Tempel sowie meinem Resort. Oben rechts: Sulamani Pahto. Mitte links: Dhammayangyi Pahto. Mitte rechts: Blick in Richtung Nyaung U, u. a. mit der Shwezigon Paya. Unten rechts: Dhammayazika Paya.

Ziemlich genau 45 Minuten schweben wir über der Ebene, dann folgt das Landemanöver. Bart legt eine saubere, sanfte Landung auf einem der beiden Felder hin, auf denen die Crewmitglieder und die Busse schon warten. Sie sind uns hinterhergefahren. Der Ballon wird entlüftet, danach dürfen wir aussteigen. Es folgt ein Sektempfang und jeder Teilnehmer bekommt eine Urkunde sowie eine Ansichtskarte geschenkt. Damit endet die Veranstaltung und wir werden mit den alten Bussen allesamt in unsere Hotels zurückgefahren. Ein wahrhaft unvergessliches Erlebnis!

Ich habe etwas über eine Stunde Pause, die ich teils zum Ausruhen, teils zum kurzen Spazierengehen nutze. Ich gehe zur Bootsanlegestelle, um einige Fotos zu machen, stets bedrängt von Bootsführern, die mir eine Sonnenuntergangsfahrt für heute Abend andrehen wollen. Anschließend gehe ich den kurzen Weg zur Bupaya, einer kleinen vergoldeten Pagode, die wir 2003 im Dunkeln besichtigt haben. Obwohl sie von Lampen angestrahlt war, habe ich wegen der schlechten Lichtverhältnisse nur ein verwackeltes Bild zustande gebracht, möchte jetzt ein ordentliches machen, aber die Pagode wird gerade restauriert und ist komplett eingerüstet. Irgendwie können wir nicht so recht miteinander...

Um 9:30 Uhr holt mich Nay zusammen mit einem anderen Fahrer als gestern ab. Zuerst lasse ich mich zu einer Bank in Nyaung U fahren und tausche dort 100 US-Dollar gegen 84300 Kyat ein, im Anschluss daran beginnt die heutige Tour. Ich arbeite jetzt sozusagen Erinnerungen an meine erste Reise 2001 auf, denn es geht zum Mount Popa, dem heiligen Berg der 37 Nats.

Zunächst fahren wir durch eine weite Ebene mit vielen Gemüsefeldern. Vor allem Erbsen, Bohnen, Erdnüsse und Sesam werden hier angebaut. An der Straße stehen viele Toddy-Palmen. Wie schon vor elf Jahren gibt es hier eine Besichtigungsstation: Mehrere Familien haben sich zusammengetan, um Produkte aus den Toddy-Palmen herzustellen, lassen sich von allen Touristengruppen dabei zusehen, die hier vorbeikommen, und verkaufen die Produkte dann an diese. Buchstäblich alles an der Toddy-Palme kann man verwenden. Aus dem Holz kann man Möbel herstellen oder es als Feuerholz verwenden. Mit den Blättern deckt man das Dach oder stellt Korbwaren her. Besonders wichtig sind aber die Früchte. Aus ihnen gewinnt man Palmzucker, der in der südostasiatischen Küche so gerne verwendet wird. Vereinfacht könnte man sagen: "Thai süß-sauer" = Palmzucker + Tamarindenmus. Vergorener Palmzucker ergibt Palmwein. Die Gärung kann schon am Baum geschehen, oder man hilft nach der Ernte mit Hefe nach. Palmwein trinkt man entweder so, oder man destilliert ihn zu Palmschnaps. Abgesehen von den berauschenden Produkten, stellt man durch Zugabe von Kokosraspeln, Sesamkernen und vielen anderen Zutaten, alle Arten von Süßigkeiten her. Ich probiere einen kleinen Schluck Palmschnaps, der gar nicht schlecht schmeckt, und kaufe ein Säckchen Palmzucker, um ihn zu Hause zum Kochen zu verwenden. Dann fahren wir weiter.

Toddy-Palmen Palmzuckerverarbeitung Palmzuckerverarbeitung Palmzuckerverarbeitung

Links: Toddy- (Palmyra-) Palmen. Halb links: Einkochen des Zuckersaftes. Halb rechts: Fermentation. Rechts: Destillation.

Bald schon wird die Gegend bergig und wir fahren eine steile Passstraße mit vielen Serpentinen hoch. Anschließend durchqueren wir eine Hochebene, bevor es wieder auf und ab geht. Schließlich erreichen wir unser Ziel. Streng genommen ist gar nicht der Mount Popa selbst die Attraktion, ein etwa 1500 Meter hoher, erloschener Vulkan, sondern der Taung Kalat, der sich nebenan wie ein breiter Zapfen erhebt. Auf seiner Spitze wurde ein buddhistischer Tempel errichtet, aber hier ist definitiv nicht der Buddhismus das Thema, sondern es dreht sich alles nur um die Nats, die in zahllosen Schreinen verehrt werden. Aus der Ferne sind es allerdings die Stupas auf der Spitze des seltsam geformten Berges, die der Szenerie etwas Charakteristisches, fast Surreales verleihen.

Zu dem heiligen Berg der Nats gibt es selbstverständlich eine Geschichte: Ein weiblicher Schutzgeist namens Popa Medaw lebte einst hier. Gewöhnlichen Menschen erschien sie als hässlicher Dämon, gewissen Auserwählten dagegen als schöne Frau. Sie ernährte sich von den Blumen, die sehr zahlreich hier am Berg wachsen. Am Hof von König Anawratha war man sehr an den schönen Blumen interessiert, deshalb gab es einen Bediensteten, der diese zu bestimmten festlichen Anlässen beschaffen musste. Dieser Bedienstete war einer der Menschen, denen Popa Medaw als Schönheit und nicht als Dämon gegenübertrat. Er verliebte sich in sie, als er sie beim Blumenpflücken kennenlernte, und wegen ihrer trauten Zweisamkeit kam der Hofbedienstete jedesmal zu spät mit den Blumen zurück. Aus diesem Grund fiel er bald in Ungnade und wurde getötet. Danach wurde er zum Nat, genau wie Popa Medaw, die an gebrochenem Herzen starb, als sie vom Tod ihres Geliebten erfuhr. Diese beiden machten diesen Ort hier zur Hauptwohnstätte der Nats.

Die Nat-Schreine kann man allesamt auf dem Weg nach oben besichtigen. Man muss den Berg zu Fuß über 777 oftmals ziemlich dreckige Stufen erklimmen, den größten Teil des Weges selbstverständlich barfuß. Das Ganze ist wieder einmal eine typisch burmesische Veranstaltung: An den ganz wenigen Stufen, die ohnehin schon blitzblank sind, sitzen Leute, die sie noch ein wenig blanker putzen und erwarten dafür eine Spende. Dort jedoch, wo der Betelsaft auf die toten Kakerlaken gespuckt wurde und sich anschließend Hunde und Affen darauf erleichtert haben, bleibt man von den wackeren Putzkräften völlig ungestört.

Vornehmlich in den unteren Bereichen des Berges wimmelt es von Affen, die größtenteils friedlich sind. Der Pilgerweg führt zunächst durch zahlreiche Souvenirstände, dann an vielen Nat-Schreinen vorbei und schließlich zu dem buddhistischen Alibi-Tempel auf der Spitze. Hat man all die Stufen bewältigt, wird man mit einem schönen Rundblick auf die Hügellandschaft belohnt. Selbst wenn der Großteil der Treppen überdacht ist, können wir uns glücklich schätzen, dass es heute stark bewölkt ist. Gleichwohl ist der Aufstieg schweißtreibend genug. Nach einer angenehmen Pause an der leicht windigen, frischen Luft, machen sich Nay und ich wieder an den Abstieg. Auf dem Weg sehen wir, wie die Putzkräfte jeweils auf derselben blitzblanken Treppenstufe herumreiben wie schon beim Aufstieg. Gründlichkeit ist eine Tugend. Und nach 2000 Jahren Pflege wird solch eine halbe Platte sicher recht annehmbar sein.

Am Mount Popa Am Mount Popa Am Mount Popa
Am Mount Popa Am Mount Popa Am Mount Popa

Am Mount Popa. Oben links: Taung Kalat. Oben rechts und unten links: Blick auf die Landschaft. Andere Bilder: Die 37 Nats.

Wieder am Auto angekommen, fahren wir etwa zwei Kilometer weit zu einem Restaurant. Ich esse gebratenen Reis mit Hühnchen, Nay ein Reisgericht mit Gemüse. Er trinkt Tee, ich eine Flasche Myanmar-Bier. Ich zahle Nays Essen mit und komme so auf 8000 Kyat. Auf das Essen folgt die Rückfahrt nach Bagan. Die Tatsache, dass ich beim Essen Bier getrunken habe, hat Nay offenbar beeindruckt, und durch die Essenseinladung scheine ich bei ihm einen gut zu haben. Da er mir für den Abend ein indisches vegetarisches Restaurant empfohlen hat, in dem es keinen Alkohol gibt, bietet er mir an, an einem Geschäft in Nyaung U Halt zu machen, in dem es Bier und Wein gibt, jeweils viel billiger als im Hotel. Ich erstehe zwei Flaschen bereits gut gekühltes Myanmar-Bier für 3000 Kyat, nicht für 8500 wie aus der Minibar. Nach diesem guten Geschäft werde ich zurück ins Hotel gebracht. Dort verabschieden wir uns, ich gehe aufs Zimmer und lasse vier Bierflaschen "Urlaub" spielen. Die beiden Flaschen aus der Minibar dürfen ein paar Stunden in einer schwarzen Plastiktüte, die beiden anderen in der Minibar verbringen. Bier braucht ab und zu eine Ortsveränderung, die tut ihm gut.

Am Abend befolge ich Nays Empfehlung und gehe ins Moon-Restaurant. Obwohl ich am Eingang lesen kann, dass es der "Lonely Planet-Geheimtipp" ist, bekomme ich problemlos einen Platz, es ist allerdings früh am Abend. Ich esse einige Pappadam und danach einen Chapati-Gemüsewrap. Zu trinken gibt es zwei Lassi wie sie sein sollen, also ohne Früchte und insbesondere ohne Zuckerzusatz. Alles schmeckt sehr gut und kostet zusammen 8000 Kyat. Nach dem Essen mache ich mich auf den kurzen Rückweg ins Hotel und lasse den langen Tag mit zwei gut gekühlten Myanmar-Bier auf der Terrasse meines Zimmers ausklingen.

Der Ananda-Tempel von meinem Zimmer aus

Der Ananda-Tempel von meinem Zimmer aus..