Khaung Daing, 17.11.2012

Heute ist das Wetter zum Glück nicht so schauderhaft wie gestern. Zwar bleibt es den ganzen Tag über stark bewölkt, aber es fällt kein Regen. Ab und zu kommt sogar die Sonne durch. Ich erkunde nach elf Jahren wieder das Gebiet der Intha. Ich schreibe bewusst "Gebiet" statt "Land", denn das Leben der Intha spielt sich von Kindesbeinen an zu einem großen Teil auf dem Wasser ab. So wie Kinder bei uns schon in jungen Jahren ein Fahrrad bekommen, erhalten sie hier ein Boot, um in die Schule zu fahren, oder Freunde zum Spielen zu besuchen.

Um 8:30 Uhr holen mich Khun, mein Reiseleiter, ein mit Khun befreundeter weiterer Reiseführer und ein Bootsführer am hoteleigenen Landesteg ab, und wir fahren auf den Inle-See hinaus. Hier sind zahlreiche Touristen unterwegs, aber glücklicherweise auch viele Einheimische. Somit sehe ich bald die Fischer, derentwegen der See berühmt ist. Sie haben eine spezielle Rudertechnik, bei der sie auf einem Bein stehen und das Ruder zwischen Kniekehle und Fußinnenseite des anderen Beines einklemmen. Wollen sie schnell vorankommen oder schwere Lasten transportieren, nehmen sie zum Rudern eine Hand zu Hilfe, geht es nur darum, ein kleines Fischerboot zu navigieren oder in Position zu halten, ist das alleine mit Beinarbeit möglich. Dies ist der tiefere Sinn dieser Technik: Die Fischer haben beide Hände frei, um Netze auszuwerfen oder große Fischreusen ins Wasser zu stecken. Aber die Fischerei ist nicht die einzige Erwerbsquelle der Intha. Verschiedene Wasserpflanzen, zum Beispiel Wasserhyazinthen, verhaken sich mit ihren Wurzelgeflechten ineinander, sodass sich schwimmende Inseln bilden. Die Menschen am See helfen bei diesem Prozess ein wenig nach und fixieren die Inseln mit Bambusstangen. Diese Gebilde werden so stabil, dass man darauf Gemüsebeete anlegen kann. Der Inle-See ist zum Beispiel bekannt für die guten Tomaten, die auf solchen Inseln kultiviert werden. Darüber hinaus werden hier viele weitere Gemüsearten angebaut.

Wasserpflanzenernte Fischen mit Reuse Einbeinrudern

Links: Wasserpflanzen werden aus dem See geholt. Mitte: Fischen mit einer Reuse. Rechts: Dank der speziellen Rudertechnik haben die Intha beide Hände frei, um ihre Netze auszuwerfen.

Nachdem wir den See von Norden nach Süden etwa zur Hälfte überquert haben, kommen wir ins Dorf Tha Lay. Hier steht die Phaung Daw Oo-Pagode, nach der das alljährlich im September oder Oktober stattfindende Fest am Inle-See benannt ist. Vor elf Jahren habe ich es miterlebt. In der Pagode stehen die ganze Zeit über, außer wenn besagtes Fest stattfindet, fünf kleine Buddhastatuen, die so dick mit Blattgold beklebt sind, dass ihre ursprüngliche Gestalt nicht mehr zu erkennen ist. Während des Festes werden vier der fünf rundlichen Klumpen auf eine vergoldete Barke umgeladen und einen Mondmonat lang rund um den See von Dorf zu Dorf gefahren. Dort, wo die Barke ankert, findet jeweils das aktuelle Festprogramm statt. Die Zeremonien werden von Bootsrennen und anderen Attraktionen begleitet. Vor der Pagode werden gerade Fotos des vor kaum einem Monat zu Ende gegangenen Festes gezeigt. Im Inneren sieht man die fünf unförmigen Buddhastatuen. Die Pagode ist größtenteils aus Teakholz erbaut. Khun erzählt mir, dass einer seiner Großväter Zimmermann war und am Bau mitgewirkt hat.

Phaung Daw Oo-Pagode Phaung Daw Oo-Pagode Phaung Daw Oo-Pagode
Phaung Daw Oo-Pagode Phaung Daw Oo-Pagode Phaung Daw Oo-Pagode

Die Phaung Daw Oo-Pagode. Oben mitte: Die vergoldete Barke. Oben rechts: Diese Goldklumpen sollen tatsächlich Buddhastatuen beinhalten.

Nach der Besichtigung bleibt es familiär. Khun möchte mir das Haus seiner Großeltern zeigen, in dem heute seine Tante und viele weitere Angehörige wohnen. Den Weg dorthin können wir zu Fuß zurücklegen, das ist hier nicht selbstverständlich. Das Haus hat zwei Stockwerke. Im Inneren begrüßen uns die Tante und zwei Cousinen, eine mit Khuns etwa zweijähriger Nichte auf dem Arm. Wir bekommen Tee, Reismehlfladen und einen Teeblättersalat mit Erdnüssen und Sesam angeboten. Khun kann hier Familienbeziehungen pflegen und ich sehe auf diese Weise ein einheimisches Haus von innen. Es ist luftig und geräumig und mit nur sehr wenigen Holzmöbeln eingerichtet.

Dorfidylle Kinderspiele Ruderndes Kind

Links: Dorfidylle. Mitte: Ein Junge will einen Drachen steigen lassen. Rechts: Die Intha-Kinder wachsen größtenteils auf dem Wasser auf.

Nach einer knappen halben Stunde Familienbesuch gehen wir zurück zum Boot und fahren zu unserer nächsten Station, einer Weberei. Dies ist wohlgemerkt die erste Verkaufsveranstaltung auf dieser Reise. Sie verläuft allerdings äußerst dezent und ist darüber hinaus, obwohl ich nichts kaufen will, sehr interessant. Es geht um ein Produkt, das wiederum ganz charakteristisch für den Inle-See ist. Die Stengel der Lotospflanze enthalten lange Fasern. Die Frauen des Dorfes extrahieren die Fasern, verspinnen sie und weben daraus Kleidungsstücke. Die Ausbeute an Fasern pro Stengel ist nicht gerade groß und die Arbeit sehr langwierig, deshalb sind die Endprodukte sehr teuer. Ein kleiner Schal aus reinen Lotosfasern kostet bereits um die 100 US-Dollar. Weil sich diese Preise kaum jemand leisten kann oder will, stellt man neben reinen Lotosprodukten Kleidungsstücke aus Mischfasern her. Teile der Kettfäden sind dann aus Lotos, der Rest aus Baumwolle oder Seide. Größere Stücke dieser Machart sind schon ab 25 US-Dollar zu haben. Mit mir zusammen befinden sich zwei Reisegruppen hier und das Geschäft läuft glänzend, also fällt kaum jemanden auf, dass ich nichts kaufe. Khun hat wohl von vorneherein nicht damit gerechnet.

Lotosweberei Lotosweberei Gemüsepflanzung auf dem Wasser
Kloster der (nicht mehr) springenden Katzen Kloster der (nicht mehr) springenden Katzen Kloster der (nicht mehr) springenden Katzen

Oben links und mitte: In der Lotosweberei. Oben rechts: Gemüsepflanzung auf dem Wasser. Unten: Kloster der (nicht mehr) springenden Katzen.

Wir fahren schließlich weiter zum Nga Hpe Kyaung, dem Kloster der springenden Katzen. Bis vor kurzem führten die Mönche dieses Klosters für die Touristen Shows auf, bei denen sie dressierte Katzen durch Reifen springen ließen. Vor elf Jahren habe ich das selbst gesehen. Inzwischen hat dies der Abt unterbunden, da er zurecht der Ansicht ist, dass ein Kloster keine Tiershow oder ein Varieté ist. Somit haben die zahlreichen Katzen ihre Ruhe und das Kloster wird es verschmerzen können, irgendwann kein "Lonely Planet Geheimtipp" mehr zu sein. Nach der Besichtigung des "Klosters der nicht mehr springenden Katzen" fahren wir zu einem Restaurant. Wir sitzen auf einem großen Balkon direkt über dem See. Wie Khuns Nudelgericht ist, weiß ich natürlich nicht, mein ganzer gekochter Fisch mit Gemüse in einer pikanten Sauce schmeckt jedenfalls ausgezeichnet. Und der Preis des Essens, 6500 Kyat inklusive Reis und einer Flasche Myanmar-Bier (die alleine schon 3000 kostet) ist sensationell, wenn man bedenkt, dass man sich in einer der absoluten Touristenhochburgen des Landes befindet.

Typische Häuser am Inle-See Silberschmiede Fischer

Links: Typische Häuser am Inle-See. Mitte: Silberschmiede. Rechts: Bedächtiger Fischer.

Da mein Programm auf große Touristengruppen zugeschnitten ist, die in der Regel nur langsam vom Fleck kommen, müssen wir etwas Zeit totschlagen. Um dies zu tun, besuchen wir zunächst eine Silberschmiede, in der teilweise sehr filigran gearbeitete Schmuckstücke hergestellt werden. Dann geht es weiter in ein Souvenirgeschäft, das nicht auf irgendeine Produktgruppe spezialisiert ist, in dessen Eingangsbereich man jedoch von zwei Damen begrüßt wird, die der eigentliche Anlass unseres Besuches sind. Es handelt sich nämlich um zwei "Giraffenhalsfrauen". Diese Frauen vom Stamm der Padaung tragen so viele Messingringe um den Hals, dass der Schultergürtel nach unten gedrückt wird, also eine dauerhafte Skelettdeformation stattfindet. In heutigen Zeiten werden diese Frauen wie Zootiere als Touristenattraktion zur Schau gestellt, einige reisen dafür sogar nach Thailand. Mich beschleicht immer ein sehr seltsames Gefühl, wenn ich so etwas sehe.

Der Souvenirladen ist schnell durchschritten und damit sind wir am Ende des heutigen Unterhaltungsprogrammes angelangt. Wir besteigen wieder das Boot und fahren an das Nordufer des Sees zu meinem Hotel. Dort lege ich eine längere Pause ein, bis die Sonne untergegangen und die Zeit für das Abendessen gekommen ist. Wie gestern Abend gehe ich ins Hotelrestaurant und esse gebratene Nudeln mit Gemüse und Hühnchenfleisch und trinke dazu ein Myanmar-Bier. Da ich etwas später als gestern dran bin, darf ich an der traditionellen einheimischen Musik teilhaben. Dafür sind 6500 Kyat "Eintrittsgeld" doch glatt geschenkt. Scherz beiseite, vielleicht bin ich in dieser Hinsicht ein Banause, aber ich kann mir kaum eine schlimmere Beleidigung für meine Ohren vorstellen, als die Musik hierzulande. Als ich das Restaurant verlasse, ist die Temperatur höher als gestern zur Mittagszeit und der Himmel fast klar. Ob der Sturm über China endlich abgezogen ist? Ich hoffe es sehr!