Yangon, 5.11.2012

Die Nacht ist deutlich vom Jetlag geprägt. Nach meinem langen, doppelten Anreisetag versuche ich, von 21:00 Uhr bis 7:30 Uhr zu schlafen. Zwischen 21:00 Uhr und Mitternacht sowie von 5:30 Uhr bis 7:30 Uhr gelingt mir dies. In den Stunden dazwischen bin ich hellwach, denn in der Zeitzone, in der ich sonst lebe, ist das meine aktivste Zeit. Jedenfalls konnte ich mich ein wenig erholen. Das ist höchst notwendig, denn der Tag beginnt mit der Fahrt zum Flughafen und der Ungewissheit wegen des Koffers. Es herrscht wie immer Chaos. Kyaw möchte alles für mich erledigen, da die übereifrigen Sicherheitsleute aber nur eine Person in den Gepäckausgabebereich lassen wollen, überrede ich ihn, dass ich hineingehe, da ich meinen Koffer kenne und deshalb schneller identifizieren kann. Ich frage die Dame am "Lost and found"-Schalter, ob das Flugzeug schon gelandet sei. Sie wisse es nicht, sei sowieso nicht zuständig und ich solle mich am besten an den Schalter im Check-in-Bereich wenden. Den Dienstleistungs- und Kundenfreundlichkeitsgedanken hat man hier schon verinnerlicht. Jetzt muss man nur noch lernen, den Kunden für derartige Auskünfte in der Endlos-Warteschleife einer Telefon-Hotline das Geld aus der Tasche zu ziehen, dann ist selbst Myanmar im 21. Jahrhundert angekommen. Ich warte einfach stur in der Nähe des Schalters. Nach einiger Zeit werden wirklich jede Menge Koffer herbeigeschafft und, oh Wunder, meiner ist dabei. Die Vietnam Airlines hat ihn mit der Thai Airways über Bangkok hierher transportieren lassen, wie die Aufkleber und Anhänger verraten. Nach einiger Zeit stapelt sich hier mehr Gepäck aus Saigon als gestern auf dem Band war.

Nun ist ein großes Problem abgewendet. Ich muss den Koffer nur mehr beim Zoll durchleuchten lassen und dem Beamten erklären, dass ich meine Zollerklärung schon gestern abgegeben habe, dann kann die Reise endlich planmäßig weitergehen. Nach einem kurzen Stopp im Hotel, bei dem die Wanderschuhe gegen Sandalen getauscht werden, fahren wir bei nur leicht bewölktem Himmel und über 30 Grad in die Innenstadt von Yangon. Hier ist fast rund um die Uhr Stau, aber unser Fahrer nutzt geschickt Umwege. Die Autos hier kommen fast alle aus Japan, haben also das Lenkrad auf der rechten Seite, obwohl in Myanmar rechts gefahren wird.

Unsere erste Station ist der Chaukhtatgyi-Tempel mit seinem 65 Meter langen liegenden Buddha. Dieser wurde erst vor wenigen Jahrzehnten erschaffen und ist prächtig mit Glas, Edelsteinen und Gold verziert. Durch seine schiere Größe ist er sehr eindrucksvoll, aber nach meinem persönlichen Geschmack nicht so schön wie die zehn Meter kürzere Statue in Bagò, die ich in wenigen Tagen wiedersehen werde. Das Gesicht erinnert eher an das einer etwas zu auffällig geschminkten Frau als an das eines Weisen. Lohnenswert ist der Besuch aber dennoch.

Die nächste Station unserer Tour ist der Kandawgyi-See mit der großen "königlichen" Barke, die allerdings ein Nachbau aus Beton ist. Mit ihren reichen Verzierungen sieht sie trotzdem interessant aus. Das Restaurant im Inneren traf zumindest vor elf Jahren nicht ganz meinen Geschmack. Vom See aus hat man einen schönen Ausblick auf die Shwedagon-Pagode. Einige Abschnitte des Seeufers dienen als romantische Treffpunkte verliebter Pärchen, die wohl so aufeinander fixiert sind, dass ihnen die vielen herumliegenden Abfälle nicht weiter auffallen.

Der liegende Buddha im Chaukhtatgyi-Tempel Der liegende Buddha im Chaukhtatgyi-Tempel Barke am Kandawgyi-See
Barke am Kandawgyi-See Shwedagon-Pagode vom Kandawgyi-See aus

Oben links und mitte: Der liegende Buddha im Chaukhtatgyi-Tempel. Oben rechts und unten links: Barke am Kandawgyi-See. Unten rechts: Shwedagon-Pagode vom Kandawgyi-See aus.

Nach dem Besuch am See hätte eigentlich die Sule-Pagode auf dem Programm gestanden, neben der Shwedagon-Pagode das Wahrzeichen der Stadt. Sie ist 2000 Jahre alt, wird von den Einheimischen gerne besucht, steht aber ziemlich verloren inmitten eines großen Kreisverkehrs und lohnt einen, aber sicherlich nicht mehrere Besuche. Ich schlage also kurzerhand eine Änderung vor: Ich möchte stattdessen zur Botataung-Pagode, deren Stupa vor neun Jahren restauriert wurde und deshalb komplett eingerüstet war. Wir fahren also dorthin. Neben dem Tempel befindet sich nach wie vor ein kleiner, quirliger Markt, auf dem man vorwiegend Kokosnüsse und Bananen kaufen kann. Eine Nuss und ein ringsherum drapierter Kranz von Bananen in einer Schüssel sind eine beliebte Opfergabe. Die Nuss repräsentiert den Kopf eines Gläubigen, die Bananen seine zum Gebet erhobenen Finger. Die Stupa ist diesmal in ihrer ganzen Pracht zu sehen. An der ausgestellten Haarreliquie im Inneren des Tempels ist der Andrang ziemlich groß und in den sonnenbeschienenen Innenhöfen muss man sehr schnell gehen, um sich nicht die Fußsohlen zu verbrennen, denn wie immer hierzulande, muss man am Tempeleingang die Schuhe ausziehen.

Botataung-Tempel Botataung-Tempel Botataung-Tempel
Botataung-Tempel Am Yangon River

Unten rechts: Am Yangon River. Andere Bilder: Botataung-Pagode. Oben links: Der Haarreliquien-Schrein.

Nach dem Tempelbesuch steht ein kurzer Fotostopp am Yangon River an, danach fahren wir zu einem sehr vollen Restaurant mit traditioneller Myanmar-Küche. Kyaw geht mit mir essen, der Fahrer kommt nicht mit. Ich wäre hier beim Bestellen komplett überfordert, obwohl (oder gerade weil) man an einem Tresen im starken Gedränge auf die Sachen zeigt, die man haben will, und dann mehreren Kellnern klarmachen muss, an welchen Tisch sie die Speisen bringen sollen. Es gibt ein Schweinefleisch- und ein Fisch-Sepyan, Wasserkressesalat, Pak-Choi mit Knoblauch und eine große Schüssel Reis. Kyaw gönnt sich exklusiv Schweineinnereien mit scharfer Fischpaste und Tee, ich runde das Mahl mit einer Flasche Myanmar-Bier ab. Es steht außerdem der landestypische, ziemlich harte Salat auf dem Tisch, der einfach dazugehört, aber von dem selbst die Einheimischen kaum etwas essen. Was das Sepyan angeht, ist es wie so oft in Myanmar: Es wäre eigentlich sehr lecker, wenn es richtig heiß serviert würde. Aber dennoch ist das Essen gut und ich zahle für uns beide zusammen nur 11400 Kyat.

Da das Thermometer deutlich mehr als 30 Grad anzeigt und die Luftfeuchtigkeit sehr hoch ist, wird der anstehende Spaziergang durch Chinatown verschoben. Erst um 17:00 Uhr soll das Programm weitergehen, dann ist es draußen deutlich angenehmer. Überraschenderweise bekomme ich schon um 16:30 Uhr einen Anruf aus der Hotellobby. Kyaw ist etwas nervös geworden, weil dicke Wolken aufgezogen sind, und will die Tour lieber früher starten. Ich habe einerseits Pech, andererseits ungeheuer großes Glück. Pech insofern, dass wenige Minuten nachdem wir gestartet sind, ein Wolkenbruch niedergeht, und das in der Trockenzeit. Ungeheures Glück, weil das Gewitter in Richtung Norden weitergezogen ist, als wir in der Innenstadt ankommen. Obwohl ich während der Fahrt niemals daran geglaubt hätte, bekomme ich den gesamten Abend hindurch keinen einzigen Regentropfen ab.

Wir fahren zunächst mitten in das Chinesenviertel und gehen zu Fuß durch die quirligen Lebensmittelmärkte. Selbst wenn ich das irgendwann zum hundertsten Mal gemacht haben sollte, würde ich es dennoch immer aufs Neue genießen. Hier gibt es alles an Früchten, Gemüsesorten, Gebäck und Süßigkeiten, was die asiatischen Essgewohnheiten hergeben. Selbst die gerösteten sechsbeinigen Tierchen sind im Übermaß vorrätig, Durianfrüchte selbstverständlich ebenfalls. Kyaw mag sie, im Gegensatz zu mir, sehr gern, er isst danach aber immer Mangustinen, da sie die übermäßige Hitze, welche der Genuss von Durian im Körper erzeugt, ausbalancieren.

Die Sule-Pagode Auf dem Markt Auf dem Markt
Auf dem Markt Auf dem Markt Auf dem Markt
Auf dem Markt Auf dem Markt Auf dem Markt

Oben links: Die Sule-Pagode. Andere Bilder: Auf dem Markt. Unten links: Sechsbeinige Delikatessen. Unten rechts: Durian-Früchte.

Nach dem Marktbesuch folgt der Höhepunkt des heutigen Tages. Wir fahren zur Shwedagon-Pagode. Was soll ich über dieses unfassbare, fast 100 Meter hohe Bauwerk, das mit über 60 Tonnen Gold verziert ist und in dessen Spitze Edelsteine unschätzbaren Wertes eingelassen sind, Neues berichten? Vielleicht, dass ich selbst bei meinem vierten Besuch Gänsehaut bei ihrem Anblick bekommen habe? Oder dass die abendliche, feierliche, tief spirituelle Atmosphäre, welche die einheimischen Besucher verbreiten, selbst durch die ersten Handydauertelefonierer und die fast weihnachtlich wirkenden LED-Lichterketten bislang nicht zerstört werden konnte? Ich genieße meinen Aufenthalt hier jedenfalls genauso wie die vorherigen. Eine Anekdote am Rande: Kyaw ist ursprünglich spanischer Touristenführer und erzählt mir, dass die spanischen Gäste beim Anblick der LED-Strahlenkränze der Buddhafiguren immer "Discoteca!" sagen. Nach dem Besuch der immer aufs Neue maßlos faszinierenden Pagode werde ich zurück ins Hotel gefahren. Morgen werde ich um 7:30 Uhr abgeholt, um meine Besichtigungstour durch die Staaten Mon und Kayin zu beginnen.

Die Shwedagon-Pagode Die Shwedagon-Pagode Die Shwedagon-Pagode
Die Shwedagon-Pagode Die Shwedagon-Pagode Die Shwedagon-Pagode

Die Shwedagon-Pagode.

Inzwischen ist es 20:15 Uhr geworden. Ich gehe in das "Golden Duck Restaurant" in unmittelbarer Nähe meines Hotels. Obwohl wir uns in einem Außenbezirk befinden, ist der Parkplatz voll, das ist ein gutes Zeichen. Pak Choi-Gemüse mit Erbsen und einer ordentlichen Menge von der gesunden Knolle, die einsam macht, außer wenn man sie in Gesellschaft genießt, ein Hühnerfleischgericht mit Cashewnüssen und Austernpilzen sowie eine Flasche Myanmar-Bier stärken meine Lebensgeister. Die Rechnung fällt mit 9500 Kyat moderat aus. Ich beschließe den aufregenden Tag und bin schon sehr gespannt auf meinen Ausflug in den Süden.